„Vielen ist nicht bewusst, wie sehr der Klimawandel das Leben und die Gesellschaft verändert“
Das im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative geförderte Projekt „KlimaGesichter“ will mit interkulturellem Austausch das Klima schützen. Im Interview sprechen die Projektleitenden Annika Mannah und Christoph Herrler über die Ziele des Projekts. Außerdem erzählt Stanley Pierre Pizzar, einer der „KlimaGesichter“-Referenten, von seiner Arbeit und den Folgen des Klimawandels in seiner Heimat Haiti.
Die Auswirkungen von Flucht und Klimawandel erlebbar machen: Das ist das Ziel des Projekts „KlimaGesichter“. Menschen mit Fluchterfahrung werden zu „KlimaGesichter“-Referierenden qualifiziert und erzählen in Workshops und Seminaren von ihren persönlichen Erfahrungen und den Auswirkungen des Klimawandels weltweit.
Frau Mannah, Herr Herrler und Herr Pizzar, schön, dass Sie sich Zeit für einen Austausch zum Projekt „KlimaGesichter“ nehmen. Eine grundsätzliche Frage vorweg: Wie ist die Idee zum Projekt entstanden?
Annika Mannah: Das Projekt „KlimaGesichter“ ist 2017 aus unserer Wanderausstellung Klimaflucht heraus entstanden. Die Ausstellung wurde von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen in einem Auswahlwettbewerb entwickelt und von der Deutschen KlimaStiftung im Jahr 2016 mit anfänglich zehn Figuren realisiert. Heute besteht sie aus 19 lebensgroßen Figuren aus allen Teilen der Welt – Konstruktionen aus Holz und Stahl – die mit Audiodateien ausgestattet sind und auf Knopfdruck Einzelschicksale Geflüchteter erzählen. Die Ausstellung wird bundesweit verliehen und sensibilisiert für die Hintergründe von klimabedingter Flucht. Auch die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks besuchte die Ausstellung im Klimahaus Bremerhaven, dem Sitz der Deutschen KlimaStiftung und war begeistert. Sie setzte sich dafür ein, dass die Projektidee „KlimaGesichter” als Begleitprogramm zur Ausstellung KLIMAFLUCHT im Verbund der Deutschen KlimaStiftung (DKS) mit dem Unabhängigen Institut für Umweltfragen in Berlin (UfU) und der Jugendwerkstatt Felsberg ausgebaut wird. Seit 2019 wurde das Projekt in diesem Verbund bis 2022 durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. Seit Anfang 2023 wird es bis 2025 in einer zweiten Förderphase durch die DKS und das UfU weiterentwickelt.
Das Projekt wird von Menschen mitgetragen, die aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels aus ihren Heimatländern nach Deutschland geflohen sind. Wie kam der Kontakt zu diesen Menschen zustande?
Christoph Herrler: An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass es sich bei unseren Klimareferentinnen und -referenten nicht nur um Menschen handelt, die sich aufgrund der direkten Auswirkungen des Klimawandels zur Migration entschlossen haben. Allen gemeinsam ist aber der Verlust der eigenen Heimat und die Erfahrung, sich an einem neuen Ort zurechtfinden zu müssen. Durch den Klimawandel werden in Zukunft noch viel mehr Menschen diese Erfahrung machen müssen. Die Kontaktaufnahme zu den Referentinnen und Referenten erfolgte größtenteils über soziale Netzwerke, über bestimmte Institutionen oder zum Beispiel in Sprachkursen, in denen wir für das Projekt geworben und zu Informationsveranstaltungen eingeladen haben. Interessierte Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung sind auch weiterhin herzlich eingeladen, mitzumachen. Wir führen regelmäßige Qualifizierungsmaßnahmen – mittlerweile national und international – durch. Kontaktieren Sie uns gerne unter info@klimagesichter.de.
Wie sind die einzelnen Workshops und Seminare der „KlimaGesichter“ inhaltlich aufgebaut?
Annika Mannah: Für diejenigen, die sich für eine Tätigkeit als Klimareferentinnen und -referenten entscheiden, führen wir im Vorfeld qualifizierende Schulungen durch. Dort werden gemeinsam mit den zukünftigen Referentinnen und Referenten, ausgehend von ihrer persönlichen Geschichte, und mit Expertinnen und Experten die Inhalte für die Seminare und Workshops erarbeitet. Dabei geht es zum einen um theoretisches Wissen rund um den Klimawandel. Darüber hinaus führen wir die Referentinnen und Referenten aber auch in Storytelling-Methoden ein, erarbeiten gemeinsam persönliche Ansätze unserer Referierenden zur Vermittlung der länderspezifischen Themen oder üben in Rollenspielen, wie man in kommunikativ schwierigen Situationen die Kontrolle behält. Die Referentinnen und Referenten erzählen vor einem fremden Publikum sehr persönliche Geschichten, mit denen sie sich auch angreifbar machen. Es war uns sehr wichtig, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie sich auch in schwierigen Situationen schützen können. Zukünftig werden wir mit Schauspielerinnen und Schauspielern arbeiten, die unsere „KlimaGesichter“-Referierenden noch besser auf ihre „Rolle“ vorbereiten und helfen, dennoch authentisch zu bleiben.
Eines Ihrer Ziele für die zweite Projektphase ist es, aus den Erkenntnissen der Workshops und Seminare neue Bildungsformate zu entwickeln, die auch Menschen ansprechen sollen, die sich bisher wenig mit den Themen Klimawandel und Klimaflucht auseinandergesetzt haben. Gibt es hier schon konkrete Vorstellungen, wie es gelingen kann, auch diese Menschen abzuholen?
Annika Mannah: Bei unseren Workshops und Seminaren haben wir die Erfahrung gemacht, dass diese häufig von Menschen besucht werden, die sich bereits intensiv mit den Themen Migration und Klimawandel auseinandergesetzt haben. Wir wollen darüber hinaus Menschen erreichen, die sich noch nicht viel mit diesen Themen beschäftigt haben, denn wir glauben, dass beide Themen uns alle früher oder später direkt betreffen werden. Daraus ist die Idee entstanden, mit unseren Referentinnen und Referenten innovative Formate zu entwickeln, die auch eine Zielgruppe ansprechen, die vielleicht nicht damit rechnet, direkt mit unseren Themen konfrontiert zu werden. Um dies zu erreichen und ein breiteres Publikum mit unseren Inhalten anzusprechen, haben wir für dieses Jahr zum Beispiel ein „KlimaGesichter“-Konzert mit Workshop geplant, das am 17. September im LWL-Museum Münster stattfinden wird. Weitere Ideen sind die Mitwirkung an einer Klima-Performance oder die Entwicklung einer breit angelegten Kampagne.
Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von Teilnehmenden erhalten?
Stanley Pierre Pizzar: Wenn ich in den Workshops über die Auswirkungen des Klimawandels in der Karibik und in meinem Heimatland Haiti spreche, bekomme ich oft das Feedback, dass die Teilnehmenden schockiert sind über die Folgen, die der Klimawandel für die Menschen vor Ort hat. Vielen ist gar nicht bewusst, wie tiefgreifend der Klimawandel das Leben und die Gesellschaft in der Karibik verändert. In Haiti zum Beispiel haben in den letzten Jahren deutlich extremere Wetterlagen wie Stürme, Starkregen oder Dürreperioden auch zu einem starken Anstieg der Kriminalität geführt.
Christoph Herrler: Ich glaube, auch wenn man sich schon viel mit den Themen Flucht und Klimawandel beschäftigt hat, ist es noch intensiver, wenn man es von jemandem erzählt bekommt, der diese Erfahrungen selbst gemacht hat, da kommt eine emotionale Ebene dazu, die sonst oft fehlt. Das ist, denke ich, das Besondere an unseren Workshops, dass man die Themen von der abstrakten Ebene herunterholt und ihnen sozusagen ein Gesicht gibt.
Annika Mannah: Unser Ziel ist es, mit den Workshops einerseits Räume zu schaffen, in denen Menschen gehört werden, die sonst nicht so oft zu Wort kommen. Gleichzeitig sind sie aber auch eine Aufforderung zum Handeln: Wir wollen, dass Menschen aktiv werden und sich für den Klimaschutz und eine sozial-ökologische Transformation einsetzen.
Was ist für die Zukunft des Projekts geplant?
Annika Mannah: Derzeit befinden wir uns in der zweiten Phase unserer Förderung durch die Nationale Klimaschutzinitiative. In der ersten Phase ging es vor allem um die Akquise der „KlimaGesichter“ und die Entwicklung der Workshops. In den nächsten drei Jahren soll das Programm international ausgebaut werden: Das heißt, wir wollen nicht mehr nur Menschen, die in Deutschland leben, zu „KlimaGesichtern“ ausbilden, sondern über Online-Seminare auch Menschen, die vor Ort leben, zum Beispiel in Haiti, Indien, Mexiko oder Simbabwe, die dann von dort aus „KlimaGesichter“-Workshops durchführen können. Unser Ziel ist es dabei vor allem, diese bereits engagierten Menschen zu befähigen, Klimaschutzmaßnahmen vor Ort umzusetzen.
Christoph Herrler: Außerdem planen wir ein Zukunftsbündnis mit Institutionen, die sich ebenfalls im Bereich Klimawandel und Flucht engagieren, um gemeinsam Kampagnen und Veranstaltungen zu initiieren und durchzuführen. Damit wollen wir die Themen sichtbarer machen und darüber informieren. In einem weiteren Schritt ist eine digitale Informationsplattform geplant, auf der Materialien zum Thema Klimawandel und Migration zur Verfügung gestellt werden.
Herr Pizzar, um auch einen Einblick in die Perspektive der „KlimaGesichter“-Referierenden zu bekommen, möchten wir Ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen. Zunächst: Wie sind Sie „KlimaGesichter“-Referent geworden?
Stanley Pierre Pizzar: Ich engagiere mich schon länger für den Klimaschutz und als ich von dem Projekt „KlimaGesichter“ erfuhr, fand ich es eine tolle Gelegenheit, mehr Menschen zu erreichen und darüber aufzuklären, welche Folgen der Klimawandel in anderen Teilen der Welt bereits hat und wie sehr die Menschen vor Ort darunter leiden.
Wie wirkt sich der Klimawandel in Ihrem Heimatland Haiti aus?
Stanley Pierre Pizzar: Das Klima auf Haiti und in der gesamten Karibik ist in den letzten Jahren viel extremer geworden. Derzeit befinden wir uns zum Beispiel in der Hurrikansaison: Zwischen Mai und November sind Hurrikane in der gesamten Karibik nichts Ungewöhnliches. Aber in den letzten Jahren sind diese Stürme viel häufiger und stärker geworden. So verwüstete ein Hurrikan vor wenigen Wochen weite Teile der Südküste Haitis und machte viele Menschen obdachlos. Hinzu kommen immer wieder Dürreperioden, in denen das Trinkwasser knapp wird und der Grundwasserspiegel sinkt. Dadurch wird es immer schwieriger, auf der Insel Landwirtschaft zu betreiben. Gleichzeitig breiten sich durch den Mangel an sauberem Wasser Krankheiten aus. Die Menschen werden immer ärmer, was wiederum die Kriminalitätsrate im Land ansteigen lässt. Auch in Haiti sehen sich viele Menschen gezwungen, das Land zu verlassen und nach Südamerika oder in die USA zu fliehen.
Ein Blick in die Glaskugel: Wie sehen Sie die Welt im Jahr 2050? Was sind Ihre Hoffnungen, was Ihre Befürchtungen?
Stanley Pierre Pizzar: Grundsätzlich möchte ich positiv bleiben und hoffe, dass sich in den nächsten Jahren gerade in der Klimapolitik mehr tut. Viele Staaten haben schon Pläne für mehr Klimaschutz, vor allem in Deutschland und Europa. Andererseits habe ich die Sorge, dass in den betroffenen Ländern Klimapolitik oft gar kein Thema ist. Auch wenn Länder wie zum Beispiel Haiti im Vergleich sehr wenig CO2 ausstoßen, kann es auch für diese Länder nicht schaden, mehr zu tun, um irgendwann klimaneutral zu werden und die Umwelt besser zu schützen. Ich denke auch, dass das Bewusstsein für den Klimawandel immer größer wird und sich immer mehr Menschen für den Klimaschutz engagieren. Das gibt mir Hoffnung.
Vielen Dank für das Interview!
Termine
- 15. Juli 2023: Internationale Online-Qualifizierung für interessierte Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten weltweit
- 15. - 17. September 2023: Workshop-Wochenende mit abschließendem gemeinsamem Konzert im LWL-Museum Münster
- 17. und 18. November 2023: Nationale Online-Qualifizierung für Interessierte mit Migrations- oder Fluchterfahrung, die in Deutschland leben
- 2. Dezember 2023: Internationale Online-Qualifizierung für interessierte Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten weltweit
- 12. - 14. Januar 2024: Nationale Qualifizierung für Interessierte in Berlin
- März 2023: Nationale Qualifizierung für Interessierte im Klimahaus Bremerhaven