Mehr Wege als Einweg im Klimaschutz
Migrantischer Einzelhandel aktiv für den Klimaschutz
Projektnehmer
LIFE - Bildung, Umwelt, Chancengleichheit e.V.
Projektlaufzeit
01.09.2013 bis
31.07.2016
Projektkontakt
Fördersumme
562.888 Euro
Förderkennzeichen
03KSF053
Förderprogramm
Stoffbeutel statt Plastik
Nur kurz ist ihre Nutzungsdauer, aber es dauert Jahrhunderte, bis sie sich zersetzt haben. Plastiktüten schaden der Umwelt und dem Klima. Besonders der Lebensmitteleinzelhandel verbraucht die dünnen, kleinen, bequemen Tragetaschen in großen Mengen. Das Projekt zeigte, dass es dazu auch Alternativen gibt.
Auf einen Blick
Mehr als fünf Milliarden Plastiktüten gingen in Deutschland im Jahr 2015 über die Ladentheken. Bei ihrer Herstellung wurden 480.000 Tonnen CO2 emittiert. Die bedenkenlose Nutzung der Einwegbeutel symbolisiert wie kaum eine andere Alltagsroutine die Handlungsmuster unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Das Projekt „Mehr Wege als Einweg im Klimaschutz“ zielte deshalb darauf ab, Konsumentinnen und Konsumenten in der Modellregion Berlin von klimafreundlichen Verhaltensalternativen beim Obst- und Gemüsekauf zu überzeugen und so hunderttausende Tüten einzusparen. Dazu umwarb der Verein LIFE e.V. die Kundinnen und Kunden mit den unterschiedlichsten Aktionen, die unter anderem die mehrfache Wiederverwendung von Plastikbeuteln populär machen sollten. Gleichzeitig erging an die Bevölkerung die Bitte um Stoffspenden für die Herstellung von Einkaufstaschen aus Gebrauchtmaterial. Orte des Geschehens waren unter anderem türkische, arabische, polnische und vietnamesische Geschäfte sowie Wochenmärkte in Berlin und Umgebung.
Beim Einzelhandel ansetzen
Freiwillige Verhaltensänderungen gelingen leichter, wenn das Umfeld mitspielt – vor allem, wenn es darum geht, eingefahrene, bequeme Verhaltensweisen zugunsten umweltfreundlicherer Handlungen abzulegen. Im ethnischen Lebensmitteleinzelhandel war zu Projektbeginn kaum Wissen über die Schädlichkeit der bunten dünnen Plastiktüten vorhanden. Zigfach gingen sie kostenlos über die Theke, die Einkaufenden griffen gerne zu. Um neue Wege aufzuzeigen, musste der Verein LIFE deshalb an mehreren Punkten ansetzen. Es galt zunächst den Handel zu gewinnen. Dies gelang schnell: 32 Geschäfte, darunter Filialen einer polnischen und zwei türkischer Handelsketten, waren bereit, sich zu engagieren. Danach kam es darauf an, die Kundschaft zu überzeugen.
Mitmach-Aktionen: Von Plastiktütenmonster bis Kiezbaum
In Anlehnung an Methoden aus der klassischen Produktwerbung erfand das Projektteam kreative Lockangebote. Sie sollten die Einstellung der Verbrauchenden zu Einwegplastiktüten ändern und bei den teilnehmenden Geschäftsleuten gleichzeitig neues Bewusstsein schaffen. Mit Hilfe des imposanten Plastiktütenmonsters – einer satirischen Kunstfigur – startete am 15. Oktober 2014 im Einkaufszentrum Wilmersdorfer Arkaden vor der Filiale einer der beiden beteiligten türkischen Supermarktketten eine Bonuskartenaktion. Bei jedem Einkauf im Wert von mehr als fünf Euro ohne Mitnahme einer neuen Wegwerftüte gab es einen Stempel; für zehn Stempel bekam man einen Wertgutschein über zwei bis vier Euro. Zwei Stände mit Glücksrad, Quiz, Klimaschutzberatung und Informationsmaterial flankierten das Geschehen. Die Aktion fand danach noch insgesamt 52 Mal in 26 unterschiedlichen Geschäften statt; 6.000 Interessierte nahmen an Beratungsgesprächen teil. In einer weiteren Aktion spendete eine der beiden türkischen Supermarktketten pro plastiktütenfreiem Einkauf fünf Cent für Klimaschutzprojekte an drei Berliner Schulen. Die Schülerinnen und Schüler gestalteten im Gegenzug für jede Filiale ein eigenes Plakat, das die Klimaschutz-Projekte vorstellte. Eine Variante dieser Kampagne lief unter der Überschrift „Kiezbaum statt Plastiktüte“: Bei jedem Einkauf mit Mehrwegtasche steckten die teilnehmenden Händlerinnen und Händler fünf Cent in eine Sammelbox, damit später von dem Geld ein Baum gepflanzt werden konnte
Wochenmärkte für den Klimaschutz
Neben den Einzelhandelsgeschäften unterstützten auch der Berliner Staudenmarkt, der Havelländische Land- und Bauernmarkt in Berlin-Spandau sowie die Ökomärkte im Hansaviertel, am Kollwitzplatz und am Nordbahnhof den klimafreundlichen Werbefeldzug. Während der Staudenmarkt auf „Blüten in Mehrwegtüten“ setzte und bereits benutzte Plastikbeutel als Verpackungsalternative anbot, entwickelte der Land- und Bauernmarkt gemeinsam mit der Klimawerkstatt Spandau e.V. und dem Wirtschaftshof Spandau eine eigene Markt-Bonusaktion.
Einen Stempel erhielt, wer eine Gebrauchttüte aus dem Pink-Zander-Spender, einer Skulptur in Fischform, oder eine der bereitstehenden Upcycling- „Taschen des Vertrauens“ nutzte. Dabei handelte es sich um ein kostenloses Angebot aus wiederverwendeten, neu gestalteten Baumwolltaschen, die die Käuferinnen und Käufer beim nächsten Marktbesuch zurückgeben konnten. Für die Ökomärkte entwickelte das Projektteam zusammen mit der Grünen Liga e.V. eine Wanderausstellung, die über umweltfreundliche Tragehilfen beim Einkauf informierte.
Aktion Plastiktütenfreier Tag
Anlässlich des „International Plastic Bag Free Day“, der jedes Jahr am 3. Juli stattfindet, hatte es hierzulande zwar schon in vorangegangenen Jahren vereinzelte Aktionen gegeben, aber LIFE initiierte im Jahr 2015 erstmals einen großen öffentlichkeitswirksamen Aufmerksamkeitstag mit angeschlossener Aktionswoche in Berlin. Gemeinsam mit einem Aktionsbündnis aus BUND Berlin, BUND-Jugend, Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace Berlin, GRÜNE LIGA Berlin e.V., KlimaWerkstatt Spandau e.V., NABU, NAJU, VISNATURA MÜNCHEN Stiftung, WWF Jugend und der Umweltbildungsorganisation Yeşil Çember feierte LIFE ein buntes Fest mit vielfältigem Programm auf dem Berliner Alexanderplatz. Trotz heißer Juli-Temperaturen wurden hier etwa 1.000 Besucherinnen und Besucher für den Verzicht auf Plastiktüten sensibilisiert. In der anschließenden Woche beteiligten sich die Organisationen des Aktionsbündnisses und über 125 Unternehmen an 34 weiteren Veranstaltungen. Die den Plastiktütenfreien Tag begleitende Öffentlichkeitsarbeit erregte bundesweite Aufmerksamkeit. Mehrere Städte und Initiativen bekundeten ihr Interesse an einer Adaption von Projektelementen. Die Stadt Bremen übernahm das Konzept und entwickelte im Jahr 2016 eine eigene Version des Aktionstages.
Mit eigener Taschenproduktion
Teil der modellhaften Herangehensweise des Projektes war außerdem der Aufbau einer Struktur zur Herstellung von Recycling-Stoffbeuteln, die später als „Taschen des Vertrauens“ zum Einsatz kamen. Dazu sammelte LIFE an über 30 Stellen in Berlin insgesamt etwa 7.000 Kilogramm gebrauchten Stoff. Daraus entstanden nicht nur 6.000 neue, auf ökologische Weise eingefärbte Stofftaschen, sondern auch ein großer Bewusstseinszuwachs bei Beteiligten.
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Was sollte das Projekt erreichen?
- Vermeidung der Benutzung von 512.000 Einweg-Plastiktüten und der mit der Herstellung verbundenen 46 Tonnen CO2;
- Aufbau einer bundesweiten Öffentlichkeitsarbeit zusammen mit Medienpartnern;
- Beteiligung von 32 Berliner Einzelhandelsunternehmen und drei Wochenmärkten;
- Entwicklung und Erprobung verschiedener Anreize für den Verzicht auf Plastiktüten im ethnischen Einzelhandel in mehreren Berliner Modellbezirken;
- Schulung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren;
- Durchführung eines Plastiktütenfreien Tages (PTFT) und einer Bonuskarten-Aktion;
- Aufbau einer Produktionsstruktur zur Herstellung von 6.000 Recycling-Stoffbeuteln und damit verbundene Einsparung von 5,1 Tonnen CO2 im Vergleich zur Produktion von neuen Stoffbeuteln.
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Was hat das Projekt erreicht?
- Vermeidung von 607.000 Plastiktüten;
- breite Medienpräsenz, unter anderem über 177 Veröffentlichungen;
- Kooperation mit 20 türkischen, acht polnischen, drei vietnamesischen und einem arabischen Einzelhandelsunternehmen in Berlin;
- Umsetzung von Bonus- und Spendenaktionen, der Aktion „Kiezbaum statt Plastiktüte!“ und des Anreizsystems „Die Tasche des Vertrauens“;
- Durchführung von Plastiktütenfreien Tagen und Aktionswochen in den Jahren 2015 (mit 1.000 Besucherinnen und Besuchern) und 2016;
- Produktion von 6.000 Stoffbeuteln und damit verbundene Einsparung von 5,1 Tonnen CO2;
- Schulung von sieben Sprachmittlerinnen und -mittlern, zwölf Klimabotschafterinnen und -botschaftern sowie mindestens einem Mitarbeitenden jedes Einzelhandelsunternehmens, darunter 80 Kassiererinnen und Kassierer der Eurogida-Kette.
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Wie ging es weiter?
Auch in den Jahren 2016 und 2017 führte der Verein LIFE gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern in Berlin den Plastiktütenfreien Tag mit einer daran anschließenden Aktionswoche durch. Weitere Informationen sind auf der Seite plastiktuetenfreiertag zu finden. Verschiedene Städte kontaktierten das Projektteam für einen Transfer der Aktionen und Ergebnisse – die Kooperation mit der Stadt Bremen war besonders umfangreich.
Beitrag zum Klimaschutz
Durch die Realisierung der Projektziele sollten die Benutzung von 512.000 Plastiktüten in Berlin vermieden und somit die C02-Emissionen um 46 Tonnen gesenkt werden. Bei der Herstellung von geplanten 6.000 Recycling-Stoffbeuteln wurde im Vergleich zu neuen Stoffbeuteln eine C02-Ersparnis von 5,1 Tonnen erwartet. Durch die konkreten Aktionen mit Unternehmen wurden laut deren Angaben und nach Auswertung der Bonuskarten über 600.000 Tüten eingespart.
„Wir stellen eine Bereitschaft der Unternehmer zu neuen Maßnahmen fest, natürlich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, denn Plastiktüten kosten viel Geld.“
Martina Bergk, Projektleiterin LIFE e.V.
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Checkliste der Erfolgsfaktoren
- Aufbau einer wirkungsvollen Öffentlichkeitsarbeit;
- Einbindung der richtigen Partnerinnen und Partner und Verankerung des Themas in Bezirkspolitik und in den Quartieren durch Einbindung und Schulung von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren;
- Identifizierung, Erprobung und Verbreitung von kreativen Modelllösungen;
- Nutzung der großen Sachspendenbereitschaft der Bevölkerung.
Tipps und Tricks für interessierte Institutionen
Der Erfolg des Projektes Mehr Wege als Einweg im Klimaschutz beruhte auf ineinandergreifenden Kommunikationssträngen, die die Neuentwicklung von Verhaltensangeboten für einen plastiktütenfreien Einkauf im Lebensmitteleinzelhandel ermöglichten und optimal begleiteten. Dazu zählten nicht nur das klassische Repertoire der Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch die Gewinnung von unterstützenden Organisationen, die Durchführung verschiedener Schulungen sowie zahlreiche Formate, die den Erfahrungsaustausch förderten.
Aufbau einer wirkungsvollen Öffentlichkeitsarbeit
Das Projekt machte mit intensiver Öffentlichkeitsarbeit auf sich aufmerksam, die maßgeblich zum Projekterfolg beitrug:
- Internetpräsenz: Zusätzlich zur Projekt-Homepage und dem dazugehörigen Facebook-Eintrag erschienen zum Plastiktütenfreien Tag eine eigene Aktionswebseite sowie eine Facebook-Seite, auf der unter anderem lebhaft zu der Thematik Plastiktüten im Einzelhandel diskutiert wurde.
- Printmaterialien, Außenplakate und Kurzfilme: Neben den klassischen Werbeinformationsmitteln sandte das Projekt mit drei amüsanten Kurzfilmen nonverbale sprachübergreifende Botschaften aus.
- Medienpartnerschaften: Die interkulturellen Medienpartnerschaften mit multicult.fm und metropol.fm knüpften den Kontakt zur nicht-deutschsprachigen Kundschaft. Das Berliner U- Bahn-TV „Berliner Fenster“ mit seinem Millionenpublikum bewarb die Bonusaktion und den Plastiktütenfreien Tag.
- Veranstaltungen: Das Projekt war auf über fünfzehn Fachveranstaltungen vertreten, darunter auf den gut besuchten Berliner Energietagen.
Im Resultat erschienen 177 journalistische Veröffentlichungen, die objektiv über das Projekt berichteten, eine davon sogar in einer japanischen Fachzeitschrift
Die richtigen Verbündeten finden
Der Verein LIFE kooperierte mit zahlreichen Einrichtungen, die das Vorhaben im Hintergrund unterstützten und mittrugen. So halfen etwa die türkisch-deutsche Industrie- und Handelskammer (TD-IHK) und die Thang Long Arbeitsgemeinschaft vietnamesischer Unternehmen e.V. beim Kontaktaufbau zum ethnischen Einzelhandel. Weitere Institutionen beteiligten sich beispielsweise an der Stoffbeutelproduktion, leisteten Transferberatung, trugen zur Öffentlichkeitsarbeit bei oder standen bei der Ausgestaltung von Weiterbildungsmaßnahmen zur Seite.
Wissensvermittlung für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
Die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer aller beteiligten Läden und die in die Bonusaktion eingebundenen Angestellten erhielten Schulungen zum Thema Klimaschutz und Abwicklung der Aktion. Im Hinblick auf das Thema Kundenkommunikation wurden darüber hinaus sieben Sprachmittlerinnen und Sprachmittler ausgebildet. Dies erwies sich als unverzichtbar für den Erfolg und die Weiterverwendung der entwickelten Lösungen. Bei eigens organisierten Unternehmensstammtischen tauschten sich die Händlerinnen und Händler untereinander offen über ihre Erfahrungen aus. Zusätzlich schulte LIFE zwölf Klimaschutzbotschafterinnen und -botschafter für die Öffentlichkeitsarbeit, die auf Aktionsständen Informationen weitergaben. Auch konnten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bezirks-, Quartiers- und Klimaschutzmanagements lernen, wie das Thema Plastiktütenreduktion in den Aktivitäten vor Ort verankert werden kann.
Kreativ werden und praktisch bleiben
Das Projekt lebte unter anderem von der kreativen Umwidmung bewährter Werbestrategien sowie der Einbeziehung vieler phantasievoller Ideen und künstlerisch inspirierter Aktionen. Allerdings zeigte sich, dass auf den Ökowochenmärkten ein dauerhafter Informationsstand verknüpft mit einer Auswahl von markteigenen Mehrwegtaschen effektiver gewesen wäre als die schicke, aufwändige Wanderausstellung.
Große Sachspendebereitschaft
Die Herstellung von Recycling-Stoffbeuteln im Projekt offenbarte eine unerwartete Bereitschaft, ungenutzte Stoffe zu spenden. Nicht nur Privatpersonen, sondern auch Hotels, Gaststätten und Stoffhandlungen beteiligten sich. Das Bedürfnis, für die Umwelt etwas Gutes zu tun, ist offensichtlich weit verbreitet und könnte für weitere Aktionen genutzt werden.
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